Nach der Gründung des Deutschen Reiches spielte die Außenpolitik für Reichskanzler Otto von Bismarck eine bedeutende Rolle.
Im Mittelpunkt des Geschehens stand dabei seine Bündnispolitik.
Bismarcks Außenpolitik nach der Reichsgründung
Durch die Gründung des Deutschen Reiches im Januar 1871 hatte sich die politische Lage in Europa dramatisch verändert.
So befand sich mit dem militärisch und wirtschaftlich mächtigen Deutschland ein neuer Akteur im europäischen Mächtesystem.
Vor 1871 war Deutschland in viele Teile zersplittert, während Europa von Mächten bestimmt wurde, die an seiner Peripherie ansässig waren.
Dass es bei dem bisherigen Machtvakuum im Zentrum des Kontinents blieb, war durchaus in ihrem Interesse.
Nun befürchteten einige europäische Großmächte, dass sie ihre Unabhängigkeit einbüßen würden.
Auf der anderen Seite sah sich auch Deutschland wegen seiner geographischen Lage in der europäischen Mitte bedroht.
So stand ein Krieg an mehreren Fronten zu befürchten, zumal sich Frankreich als unversöhnlich erwies, weil es nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 Elsass-Lothringen an das Reich abtreten musste.
Darüber hinaus herrschten weltpolitische Gegensätze zwischen Großbritannien und dem russischen Zarenreich.
Auch zwischen Russland und Österreich-Ungarn bestanden Spannungen auf dem Balkan, und das einst so starke Osmanische Reich wurde immer schwächer.
Bismarcks außenpolitische Ziele
Da Bismarck in Sorge war, dass die anderen europäischen Mächte eine Koalition gegen Deutschland schmieden könnten, wollte er, dass alle anderen Mächte auf das Reich angewiesen waren und keine Allianzen gegen es bildeten.
Daher war der Eiserne Kanzler bestrebt, Koalitionen, die sich gegen Deutschland richteten, schon im Voraus zu unterbinden.
Gleichzeitig plante er, Frankreich sowohl politisch als auch militärisch zu isolieren, dessen Niederlage gegen Deutschland das Ende seiner Vorherrschaft in Europa markiert hatte.
Auch um die Großmächte nicht zu provozieren, wollte Bismarck keine weiteren Länder in das Deutsche Reich eingliedern und auch keine Kolonien errichten.
Dagegen sollten zu allen anderen Staaten, mit Ausnahme von Frankreich, gute Beziehungen aufgebaut werden.
Gleichzeitig wollte er die Gegensätze, die zwischen Russland, Großbritannien und Österreich-Ungarn bestanden, ausnutzen.
Obwohl Bismarck bestrebt war, die Macht Deutschlands und Preußens zu mehren, verlor er jedoch nicht das Interesse des gesamten Europas aus dem Blickfeld.
So war es sein Ziel, mögliche Konflikte in die europäischen Randgebiete oder nach Afrika zu verlagern.
Das Dreikaiserabkommen
Erstes Resultat von Bismarcks Bündnispolitik war das Dreikaiserabkommen, das 1873 zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland geschlossen wurde.
So konnte nach zähen Verhandlungen ein Abkommen getroffen werden, dessen ideologische Grundlage die Monarchie bedeutete, die in den drei Ländern vorherrschte.
Durch dieses Vorgehen wollte Bismarck Frankreich in Europa isolieren, während sich Österreich-Ungarn und Russland einander annähern sollten, damit Deutschland sich nicht für eine Seite von beiden entscheiden musste.
Krieg-in-Sicht-Krise
Als 1873 die deutschen Besatzungstruppen aus Frankreich abzogen, dauerte es nicht lange, bis das Land wieder erstarkt war.
Bismarck sorgte sich nun vor einer französischen Revanche.
Zwar erhöhten die französischen Truppen 1875 wieder ihre Schlagkraft, an einen Krieg dachte ihre Regierung jedoch nicht.
In der deutschen Zeitung „Post“, die der Reichsregierung nahestand, wurde am 8. April 1875 ein Artikel mit dem Aufmacher „Ist Krieg in Sicht?“ veröffentlicht.
Diesem Artikel schlossen sich in den folgenden Wochen weitere dieser Art an. Dahinter stand jedoch Otto von Bismarck selbst.
In den Zeitungsartikeln wurde Frankreich mit einem Präventivschlag gedroht, wenn es weiterhin aufrüstete.
Weil die Zeitung regierungsnah war und oft offiziellen Zwecken diente, versetzte dies die europäischen Großmächte in Alarmzustand.
Mit der Pressekampagne wollte Bismarck das Verhalten der anderen europäischen Mächte testen.
So bezogen sowohl Großbritannien als auch Russland klar Stellung für Frankreich, da sie keinen weiteren deutschen Machtzuwachs duldeten.
Bismarck gelangte dadurch zu dem Schluss, dass Deutschland besser eine Politik der Balance betreiben musste. An Stelle des militärischen Vorgehens rückte nun die Diplomatie.
Russisch-Türkischer Krieg
1877 entwickelte sich aus der seit 1875 schwelenden Balkankrise der Russisch-Türkische Krieg, der die Niederlage der osmanischen Armee zur Folge hatte.
Russland war imstande, die Friedensbedingungen zu diktieren.
Durch den Frieden von San Stefano sahen jedoch Österreich-Ungarn und Großbritannien ihre Interessen verletzt.
Die Briten entsandten sogar ihre Flotte ins Marmarameer, während der österreichische Außenminister Andrassy einen europäischen Kongress zur Klärung der strittigen Fragen forderte.
Otto von Bismarck ergriff die Gelegenheit, Deutschland als ehrlichen Makler ins Spiel zu bringen, um einen Ausgleich zu ermöglichen, zumal das Deutsche Reich keine Interessen auf dem Balkan verfolgte.
Dabei plante der Reichskanzler, eine gewisse Rivalität zwischen den Mächten aufrechtzuerhalten, damit sie auf Deutschland angewiesen waren.
Berliner Kongress
Am 18. Juni 1878 wurde der Berliner Kongress abgehalten, auf dem Bismarcks Vermittlungsversuche erfolgreich verliefen.
So blieb der befürchtete große Krieg aus, und das englische Misstrauen gegenüber Deutschland schwand.
Ein Bündnis mit Großbritannien konnte aber auch Bismarck nicht erreichen.
Außerdem hatte der deutsche Kanzler Russland gegen sich aufgebracht, weil die Russen die Resultate des Berliner Kongresses als Niederlage empfanden.
So konnten sie an den Bedingungen von San Stefano nicht festhalten.
Zar Alexander II. (1818-1881) beklagte sich in dem sogenannten „Ohrfeigenbrief“ persönlich bei Kaiser Wilhelm I. über Bismarck und kündigte das Dreikaiserabkommen.
Stattdessen bekundete das Zarenreich plötzlich seine Sympathie für Frankreich.
Es kam in Russland sogar zu einer regelrechten antideutschen Stimmung.
Die deutschen Militärs planten daraufhin einen Präventivkrieg gegen Russland, wovon Bismarck jedoch nichts wissen wollte.
Sinnvoller erschien ihm ein Finanzkrieg gegen das Zarenreich.
Zweibund mit Österreich-Ungarn
Auf dem Berliner Kongress hatte es eine weitere Annäherung zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn gegeben.
Infolgedessen kam es 1879 zum Abschluss des Zweibundes zwischen beiden Mächten.
In dessen Rahmen verpflichteten sich beide Staaten des gegenseitigen Beistands, wenn ein Land von Russland angegriffen würde.
Dreikaiserbündnis
Für Bismarck war der Zweibund nur vorübergehend sinnvoll. Seinen harten antirussischen Wirtschaftskurs setzte er fort, bis im September 1879 der russische Gesandte bekanntgab, dass der Zar Interesse an einer Neubelebung des Dreikaiserabkommens hätte.
Von England gab es hingegen nur unbefriedigende Antworten auf Bismarcks Bündnisangebote.
Daher setzte der Eiserne Kanzler erneut auf Russland. So kam es am 18. Juni 1881 zum Dreikaiservertrag. Dabei erkannte Österreich-Ungarn Russlands Einfluss an und erhielt im Gegenzug Einfluss auf den Westbalkan.
Auf diese Weise gelang es Bismarck, die Gefahr eines Zweifrontenkrieges zu bannen. Mit dem Dreikaiserbündnis konnte der Politiker seine Außenpolitik krönen.
Trotz aller Probleme verlängerten die drei Mächte 1884 das Dreikaiserbündnis.
Als Ergänzung wurde 1882 außerdem ein Dreibund zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien geschlossen. Für den Fall, dass Russland abfiel, wollte sich Bismarck Italien als Ersatz sichern.
Bismarck und die Kolonien
Mittlerweile hatte auch in Deutschland der Hang zum Kolonialismus zugenommen. So drängte die imperialistische Bewegung zunehmend auf den Erwerb von Kolonien in Übersee.
Aus innen- und außenpolitischen Erwägungen gab Bismarck schließlich nach. Dabei wollte er auch einen Keil zwischen Thronfolger Friedrich III. und Großbritannien treiben.
So stimmte der Reichskanzler 1884 den Bestrebungen nach deutschen Kolonien zu.
Schon 1884/85 erwarb das Deutsche Reich Besitzungen in Afrika sowie im Stillen Ozean.
Es dauerte jedoch nicht lange, bis Otto von Bismarck sein Interesse für die Kolonien wieder verlor. Für ihn waren die deutschen Interessen in Europa von höherem Belang.
Krise des Bündnissystems
Ab 1886 geriet Bismarcks Bündnissystem in eine Krise. So verhielt sich Frankreich wieder aggressiver, sodass zeitweilig ein Bündnis zwischen Franzosen und Russen drohte.
Allerdings wurde die Krise mit Frankreich von Bismarck auch aufgebauscht, um innenpolitische Ziele durchsetzen zu können.
Im gleichen Jahr flammte die Balkankrise wieder auf. Trotz Bismarcks Bemühungen, einen Ausgleich zwischen Russland und Österreich-Ungarn zu erzielen, nahmen die Spannungen zwischen den beiden Staaten zu, und das Dreikaiserbündnis zerbrach.
Die Russen näherten sich stattdessen wieder Frankreich an.
Die deutschen Militärs sprachen sich erneut für einen Präventivkrieg gegen Russland aus. Bismarck lehnte dieses Ansinnen jedoch rigoros ab und wollte Krieg unter allen Umständen vermeiden, was ihm schließlich auch gelang.
So wandte sich der Reichskanzler an Russland und schloss mit dem Zaren am 18. Juni 1887 einen Rückversicherungsvertrag ab. Dieser sah vor, dass Deutschland neutral blieb, wenn Russland von Österreich-Ungarn angegriffen würde.
Russland sollte dagegen Neutralität im Falle eines französischen Angriffs auf Deutschland wahren.
In einem geheimen Zusatzprotokoll wurde das Zarenreich in seiner Meerengenpolitik zwecks Zugangs zum Mittelmeer ermuntert. Dies bedeutete nicht zuletzt einen Widerspruch zum Dreibund mit Österreich-Ungarn und Italien.
Letztlich verbesserte der Vertrag die Beziehungen zu Russland nur kurzfristig.
Innenpolitisch wurde Bismarck für den Rückversicherungsvertrag sogar von seinen eigenen Mitarbeitern kritisiert. Sie wollten lieber klar Stellung für Österreich-Ungarn beziehen und sich mit Großbritannien verbünden. Mithilfe der Engländer hielten sie sogar einen Feldzug gegen Russland für realisierbar.
Bismarcks letzte außenpolitische Handlungen
Wie falsch die Einschätzungen einiger deutscher Diplomaten bezüglich Englands waren, zeigte sich erneut 1889, als Bismarcks weiteres Angebot für ein deutsch-britisches Verteidigungsbündnis gegen Frankreich von den Briten abgelehnt wurde.
Während Otto von Bismarck in der Lage war, die weltpolitische Entwicklung richtig einzuschätzen, war dies bei seinen Nachfolgern ab 1890 nicht mehr in der gleichen Weise der Fall.
So wurde unter Kaiser Wilhelm II. (1859-1941), der ab 1888 in Deutschland herrschte, ein neuer, weitaus aggressiverer Kurs gefahren.
Nach wiederholten Streitigkeiten mit dem Kaiser reichte Bismarck am 19. März 1890 das Entlassungsgesuch ein und verließ die Bühne der Außenpolitik.
Obwohl sich der Eiserne Kanzler in der Innenpolitik oft unbeliebt gemacht hatte, wurde er in der Außenpolitik von vielen europäischen Diplomaten als Verfechter für ein gesundes Gleichgewicht der Kräfte geschätzt.
So ließ sich Bismarcks Politik durchaus berechnen, was in der Zukunft des Deutschen Reiches weniger der Fall sein sollte.